Der strömende Regen trieb mehr Gäste in das Café Lux als normalerweise um diese Uhrzeit am Dienstagnachmittag. Lilith saß entspannt an ihrem Tisch und trank einen Latte Macchiato mit Karamell-Sirup. Und während sie dort auf ihre Freundinnen wartete, mit denen sie sich zuvor verabredet hatte, beobachtete sie den Barkeeper hinter dem langen Tresen. Sein muskulöser Oberkörper war ihr nicht entgangen. Sie betrachtete seine starken Arme eindringlich und ihre Augen blieben schließlich an seinem Gesicht hängen.
„Was er wohl mit diesen Lippen alles anstellen könnte?“, ging es ihr durch den Kopf. Der stattliche junge Mann bemerkte ihren durchdringenden Blick und sah sie neugierig an. Lilith schenke ihm daraufhin ein vielsagendes Lächeln und hob dabei leicht die linke Augenbraue. Ihr Flirtversuch war nicht zu übersehen und der Barkeeper schmunzelte. Er schaute immer wieder zu ihr herüber, während er die Gläser abtrocknete.
„Ob er mich später nach meiner Nummer fragen wird?“, rätselte Lilith und fand den Gedanken gar nicht übel. Sie war kurz davor aufzustehen und sich einen Drink an der Bar zu bestellen, um auf diese Weise mit dem attraktiven Mann ins Gespräch zu kommen, als ihre Freundin mit einem nassen Regenschirm das Lokal betrat. Lilith hob ihre Hand zum Gruß und die junge Frau schritt mit einem breiten Lächeln auf sie zu.
„Schön dich zu sehe, Eva“, begrüßte Lilith ihre Freundin, die sie seit ihren Kindertagen kannte.
„Ich freue mich ebenfalls, dich zu sehen“, sagte Eva und umarmte Lilith überschwänglich. Sie zog ihren schwarzen Kurzmantel aus und hängte ihn über die Stuhllehne.
„Ist Magdalena bereits da?“, fragte Eva. Und noch bevor Lilith antworten konnte, kam die gemeinte Person just in dem Moment ins Innere des Cafés. Die junge Frau mit langem rotem Haar hieß mit vollem Namen Maria Magdalena und wurde während der Grundschulzeit ein festes Mitglied des Trios.
Alle drei Freundinnen verteilten sich gegenseitig zahlreiche Küsse auf die Wangen, bevor sie sich schließlich an den Tisch setzten und bei der Kellnerin ihre Bestellung aufgaben. Eva wählte Apfeltee und dazu einen Apfelstrudel mit viel Sahne. Und Magdalena bestellte sich einen Cappuccino mit weißer Schokolade. Lilith nahm sich zusätzlich noch einen Donut mit Schokoglasur und war etwas enttäuscht darüber, dass nicht der heiße Barkeeper ihre Bestellung aufnahm. Sie blickte wieder kurz zu ihm und war erleichtert zu sehen, dass er sie nicht mehr aus den Augen ließ.
„Mädels, ihr müsst mir helfen“, begann Eva die Unterhaltung und lenkte Liliths Aufmerksamkeit auf sie. „Ich stecke in einer tiefen Beziehungskrise mit meinem Freund.“
„Was genau ist das Problem?“, wollte Magdalena wissen.
Eva atmete tief ein und wieder aus, bevor sie fortfuhr: „Mein Freund hört mehr auf seinen Vater als auf mich. Ich habe das Gefühl, dass jede Entscheidung bezüglich unserer gemeinsamen Zukunftspläne, wie Wohnort oder die Gründung einer eigenen Familie oder Heirat, zunächst mit seinem Vater abgestimmt werden muss. Manchmal habe ich den Verdacht, dass mein Freund die Gunst seines vermögenden Vaters nicht verlieren möchte und deswegen stets auf ihn hört. Ja, ich gebe zu, sein Vater ist steinreich und ihm gehören viele begehrte Immobilien rund um den Central Park. Aber was ist mit unseren Vorstellungen? Sollen wir wirklich ein Leben führen, welches uns von seinem Vater diktiert wird, ohne eigene Wünsche zu äußern? Was ist verwerflich daran, die Dinge anders zu betrachten? Muss man uns dafür gleich mit der Verbannung aus der Familie drohen? Der Vater hat meinem Freund, doch tatsächlich gesagt, dass er ihn als seinen Erben aus dem Testament entfernt, falls sein Sohn es wagen sollte auf mich zu hören.“
„Wie lauten deine Pläne?“, Lilith wurde neugierig.
„Da mein Freund und ich so glühende Forscher sind, schlage ich ihm schon seit einem Jahr vor, dass wir beide Naturwissenschaften Physik und Mathematik an einer renommierten Universität studieren sollten. Doch sein Vater möchte ihn in der Immobilien-Branche ausbilden und ihn schließlich hier in New York behalten“, erklärte Eva traurig.
„Echt verzwickt. Also entweder erbt dein Freund den Immobilien-Himmel oder ihr beide dürft mittellos euren Träumen in Naturwissenschaften nachgehen“, resümierte Lilith. Eva nickte daraufhin und schaute Hilfe suchend zu ihren Freundinnen.
„Ich weiß gerade nicht, was schlimmer ist. Ein Mann, der seinen eigenen Bedürfnissen nicht nachgeht, um stattdessen die Vorstellungen seines Vaters zu erfüllen. Oder ein selbstverliebter Kerl, der zu sehr mit seiner eigenen Weltanschauung beschäftigt ist?“, bemerkte Magdalena seufzend.
„Wen genau meinst du damit?“, stellte Eva ihr die Frage.
„Meinen Kerl, der als angesagter Life Coach in den Sozialen Medien viral geht“, berichtete Magdalena aufgebracht. „Er besitz so viel Charisma und sein charmantes Äußeres spielt ihm in die Karten. Seine Onlinekurse sind ständig ausgebucht. Sogar bekannte Unternehmen beauftragen ihn, damit er ihre Mitarbeiter in Self Confident Workshops trainiert. Denn heutzutage möchten Firmen selbstbewusste Angestellte haben, die nur so vor Energie sprühen und innovative Ideen entwickeln. Der ganze Hype um Life Coaching entwickelt sich mittlerweile fast zu einer neuen Religion. Und mein Freund ist der Super-Guru.“
„Und was genau ist jetzt verkehrt daran?“, fragte Eva irritiert.
„Das blöde an der Sache ist, dass mein Freund allmählich zu sehr abhebt und immer häufiger narzisstische Züge aufweist. Er wird von vielen bewundert und ja, er bekommt zwischendurch auch Avancen von anderen Frauen. Was an sich verständlich ist, solange er mir treu bleibt. Aber in letzter Zeit äußert er vermehrt sexuelle Wünsche, die mir so gar nicht gefallen. Und ich habe Angst, meinen Freund zu verlieren, wenn ich ihn abweise. Denn er bemerkte vor Kurzem, dass er sich sonst eine Neue suchen würde.“
Lilith horchte auf. „Welche sexuellen Wünsche hat er denn?“
Magdalena schaute sich kurz um und vergewisserte sich, dass niemand ihnen zuhörte. Dann flüsterte sie: „Er hat mich gefragt, ob ich ihm einen Rimjob machen könnte.“
Sowohl Lilith als auch Eva sahen ihre Freundin schockiert an. Beide wussten, was mit einem Rimjob gemeint war. Es handelte sich um die orale Verwöhnung des Anus. Nicht unbedingt eine Praktik, die bei Frauen ganz oben auf der Liste der erotischen Erlebnisse steht. Genau in dem Moment kam die Kellnerin mit dem Serviertablett. Sie stellte die Getränke und die Teller nacheinander auf den Tisch. Als Lilith den Donut mit der Schokoglasur vor sich sah, musste sie einen Würgreflex unterdrücken. Die Form und Farbe dieser leckeren Köstlichkeit erinnerte sie zu sehr an die Rosette. Sie nahm sogleich den Teller und stellte ihn wieder auf das Tablett. Die Kellnerin blickte sie daraufhin verwundert an und Lilith erläuterte ihr kurz mit einem gequälten Gesichtsausdruck: „Es tut mir leid, aber mir ist soeben der Appetit danach vergangen.“
Die junge Frau lächelte kurz und war mit dem plötzlichen Sinneswandel einverstanden. Das Trio wartete, bis sie wieder gegangen und außer Hörweite war.
„Für diese Unverschämtheit solltest du den Super Guru am besten ans Kreuz nageln“, empörte sich Eva und sah Magdalena durchdringend an.
„Ja“, seufzte Magdalena erneut, „wie gesagt, ich weiß gerade nicht, welcher Freund momentan schlimmer ist. Deiner oder meiner. Ach Lilith, wären wir doch erfolgreiche Single-Frauen wie du eine bist mit einem eigenen Start-up-Unternehmen. Dann hätten wir definitiv weniger Sorgen in der Liebe.“
Doch die Angesprochene sah rüber zum Barkeeper und zeigte mit einer Kopfbewegung in seine Richtung: „Was haltet ihr von dem Leckerbissen hinter dem Tresen?“
Die beiden anderen Freundinnen drehten sich nach dem jungen Mann um und musterten ihn kurz.
„Nichts für eine ernste Beziehung, viel zu sprunghaft. Schau mal, wie er in seinen Gedanken uns alle Drei in Erwägung zieht“, lautete Evas Fazit.
„Allerdings, abgesehen davon ist er viel zu gutaussehend, um sich bereits jetzt auf eine Frau festzulegen. Er will sich bestimmt noch austoben“, stimmte Magdalena ihr zu.
„Die eigentliche Frage ist doch, ob man mit ihm Spaß haben kann“, entgegnete Lilith und biss sich leicht auf die Unterlippe.
„Absolut!“, sagten Eva und Magdalena im Chor und kicherten.
Lilith lächelte daraufhin zufrieden und kam schließlich zum ursprünglichen Thema zurück: „Ihr beide habt es definitiv nicht einfach mit euren Männern. Und ich kann euch nur raten, euren eigenen Weg zu gehen, unabhängig davon, was sie davon halten. Wenn ihr euch aus Geldgründen nicht von den Männern lösen könnt, dann biete ich euch hiermit einen Job in meiner Firma an. Gerne auch nur eine Teilzeitstelle damit du Eva dich hauptsächlich deinem Studium widmen kannst. Was mich betrifft, dann muss ich gestehen, dass mir ab und zu die Gesellschaft eines Mannes fehlt. Und jetzt entschuldigt mich bitte, ich organisiere mir kurz an der Bar einen leckeren Nachtisch für heute Abend.“
Mit diesen Worten erhob sie sich von ihrem Platz und schritt elegant zu dem Mann, dem sie die ganze Zeit über schöne Augen machte.
„Verzeihen Sie bitte“, rief sie zu ihm. Lilith setzte sich lässig auf einen Hocker und strich langsam über ihr Dekolleté. „Hätten Sie vielleicht die Freundlichkeit, mir Ihren Weinkeller zu zeigen?“
„Unseren Weinkeller?“, fragte der Barkeeper erstaunt. „Wir haben keinen. Nur einen Lagerraum für die Getränke.“
„Wie schade“, entgegnete Lilith, nahm gleichzeitig eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche und reichte diese dem attraktiven Fremden. „Erscheinen Sie heute Abend um 21 Uhr in diesem Hotel und Sie kommen in den Genuss einer persönlichen Weinverköstigung zusammen mit mir.“
Der junge Mann nahm die Visitenkarte mit einem verschmitzten Lächeln an und antwortete: „Ich werde da sein.“
Comments